Wasserkraft in Norwegen:
Saubere Energie legitimiert Verschwendung

Wasserfall westliche Hardangervidda. 22,5kb

Norwegen ist eines der wenigen Länder Europas, das für seine Energieerzeugung weder Atom- noch Kohlekraftwerke braucht. 99% aller Energie stammt aus umweltfreundlicher Wasserkraft. Doch umweltfreundlich ist norwegische Energie nur auf den ersten Blick.

Wer nach längerer Zeit in Norwegen wieder “auf dem Kontinent” (Ausdruck der Norweger für Mitteleuropa) ist, vergisst das Licht auszuschalten, wenn er aus dem Haus geht. Mit der Zeit hat man sich an manche Gewohnheiten der Norweger angepasst (dazu gehört auch mit Strom zu heizen!). Viele Norweger sind so an ständige Beleuchtung gewohnt, dass, hat man das Licht vor dem Schlafengehen im Wohnzimmer gelöscht, sie erscheinen und das Licht wieder anschalten. Es gibt Leute, die in einem hell erleuchteten Raum vergeblich nach Lichtschaltern gesucht haben.

Beginnt man eine Diskussion mit ihnen darüber, wird man in der Regel auf das niedrige Preisniveau hingewiesen (nur ein Bruchteil dessen was auf dem Kontinent üblich ist) und auf die Umweltfreundlichkeit der Energieerzeugung: Wozu also sparen? Wem schadet der Verbrauch? Wasser gibt es genug.

Vergessen wird, dass für jedes Wasserkraftwerk Flüsse reguliert und gedämmt sowie Strassen gebaut werden müssen – und das oft in den schönsten Gegenden. Darauf weist die neueste Ausgabe der Zeitschrift “Natur & miljø” des norwegischen Naturschutzbundes (Norges Naturvernforbund) hin.

1000 Kilometer von Norwegens Flüssen sind so gut wie trocken gelegt, auf 4000 Kilometern ist die Wasserführung bedeutend reduziert. Jedes Kraftwerk verändert den Charakter eines Flusses und damit die Lebensbedingungen von Tieren und Pflanzen. Auf einer Konferenz 10 Jahre nach dem Ausbau des Alta-Flusses (das in Norwegen umstrittendste Projekt), berichteten Forscher von reduzierter biologischer Vielfalt. Raubvögel wie Adler und Falke haben das Gebiet verlassen. Da sie ganz oben in der Nahrungspyramide stehen, gelten sie als zuverlässige Indikatoren für die “ökologische Gesundheit” eines Gebietes.

Aufgrund der ständigen Wasserpegelschwankungen, die normal sind für einen regulierten Fluss, hat der Fischbestand drastisch abgenommen. Der Kraftwerksbetreiber ist 1997 sogar per Gericht zu Entschädigungszahlungen von 375 000 Kronen (47 000 Euro) an die Grundeigentümer verpflichtet worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Kraftwerksbetrieb für den Rückgang des Fischbestandes verantwortlich ist.

Eine grosse Protestbewegung hat der Ausbau des Altaflusses aber wegen einer anderen “Nebenwirkung” ausgelöst. Nach den ursprünglichen Plänen sollte ein ganzes von Saamen bewohntes Dorf und Jahrhunderte alte Wanderrouten der Rentiere unter Wasser gesetzt werden. Die Saamen, Urbevölkerung in Nordskandinavien, sahen ihre Lebensgrundlage bedroht. Der Damm wurde zwar dennoch Anfang der 80er-Jahre gebaut, allerdings in kleineren Ausmassen. Ähnliche Folgen von Wasserkraftprojekten kennen wir aus anderen Teilen der Welt, woran auch europäische (und norwegische) Konzerne beteiligt sind.


Wasserkraftwerk in der Hardangervidda. Fotos: Lorenz Khazaleh

Für die Geschichte der norwegischen Naturschutzbewegung war der Kampf um die Flüsse einer der wichtigsten Elemente und begann bereits vor etwa 100 Jahren im Zuge der Industrialisierung. Seit den 70er-Jahren gewann die Umweltschutzbewegung an Einfluss, und nach den Protesten gegen das Alta-Kraftwerk wurde es schwieriger, ähnliche Projekte durchzuziehen. 341 Wasserläufe sind unter Schutz gestellt. In seiner Neujahresansprache am 1. Januar 2001 verkündete der damalige norwegische Staatspräsident Jens Stoltenberg, die Zeit der grossen Wasserkraftprojekte sei vorbei.

Dem ist offenbar nicht so. Die Naturschutzvereinung weiss von Plänen weiterer Ausbauprojekte. Das norwegische Parlament arbeitet derzeit einen neuen Plan für den Schutz von Wasserläufen aus. Die Flüsse, die noch nicht ausgebaut wurden, werden von neuem auf ihr Nutzungspotenzial untersucht. “Die Preise auf dem Energiemarkt werden vermutlich bestimmen, was passiert”, so Svein-Thore Jensen, Leiter der Abteilung Wasserschutz im Naturvernforbund. Eine Koalition aus mehreren Naturschutzorganisationen hat eine Liste mit über 100 schützenswerten Flüssen der zuständigen staatlichen Stelle übergeben.

Der Bedarf an zusätzlichen Kraftwerken ist in Norwegen jedenfalls vorhanden. Der Energieverbrauch steigt. Denn Energie ist in Norwegen (noch) billig – und nach Ansicht der Mehrheit auch sauber.

Mehr im Netz:

Ein Kraftwerk zwischen Gletschern und Grotten?

Ein Beispiel aus Nordnorwegen

In den meisten Gebieten, wo neue Wasserkraftwerke gebaut werden sollen, regt sich Widerstand unter den Einheimischen. Das war auch in den Gemeinden um den Nationalpark Saltfjell-Svartisen am Polarkreis so. Nach über 20 Jahren Engagement gegen das Projekt inmitten einzigartiger Gletscherlandschaft hatte eine lokale Bürgerinitiative erreicht, dass die norwegische Regierung im vergangenen Jahr endgültig Nein sagte zu weiteren Wasserkraftprojekten in dem Gebiet.

Die Regierung wies in ihrer Begründung der Ablehnung auf die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 20 Jahren hin. Diese hätten die Regierung veranlasst, die Bedeutung der Natur höher zu bewerten als früher. “Die Regierung wollte sich dagegen versichern, dass sich das Projekt nicht im Nachhinein als ernsthafte Fehlentscheidung erweise (…) Der Nutzen der Eingriffe ist nicht gross genug, um die Eingriffe in die Natur zu legitimieren.”

1987 hatte die Regierung grünes Licht für den Ausbau von vier Flüssen gegeben. Seitdem die Ausbaupläne Anfang der 70er-Jahre bekannt geworden waren, hatte sich Widerstand formiert. Die Konzessionserteilung für den Ausbau der Flüsse war bereits ein Kompromiss. Die Regierung hatte beschlossen, als Ausgleich das angrenzende Gebiet um den Svartisen-Gletscher und Teile des Hochgebirgsplateus Saltfjell zum Nationalpark zu erklären.

Titelseite einer Broschüre der Bürgerinitiative Spar Saltfjellet
Broschüre der Bürgerinitriative “Spar Saltfjellet”

Die Bürgerinitiative Folkeaksjonen Spar Saltfjellet war zufrieden. So zufrieden, dass sie sich gleich auflöste. Das lag auch daran, dass der Kraftwerkbetreiber Statkraft nur einen der vier Flüsse nutzen wollte, da der Bedarf nach Energie nicht so gross war. Doch 1998 kramte Statkraft die gut zehn Jahre alten Pläne hervor: Der Energieverbrauch steige, Norwegen drohe eine Unterversorgung an Energie, war die Begründung von Statkraft. Die Ausbaugegner sahen dies anderes. Die Frist für den Beginn des Kraftwerkbaus drohte abzulaufen. Würde Statkraft über 2000 hinaus den Beginn des Kraftwerkbaus hinauszögern, so Hannes Wakolbinger, müssten neue Untersuchungen betreffend Umweltbelastung und dergleichen eingeholt werden. Im Nu hatte sich die Bürgerinitiative wieder formiert.

Wenige Monate vor ihrem Sieg hatte die Folkeaksjon ein schönes Büchlein heraus gegeben, in dem sie das Gebiet vorstellen, ihren Widerstand begründen. Unter den Autoren befinden sich Lehrer genauso wie mehrere Bauern, ein kommunaler Sportreferent, ein österreichischer Ethnologe oder ein pensionierter Konservator. Der Widerstand hatte breite Verankerung in der Lokalbevölkerung. Auch die Kommunalpolitiker waren nicht mehr für das Projekt. Anfangs hatten sich die Kommunen wirtschaftliche Vorteile vom Ausbau versprochen. Doch Änderungen in der Steuerpolitik bevorzugten den Staat und den Kraftwerksbetreiber zu Lasten der Kommunen. 1991 wurde Wasserkraft zu einer Ware. “Strom wird heute produziert, um Geld zu verdienen und nicht mehr um der Industrie oder der Gemeinschaft zu dienen,” schreibt Gaute Dahl, der Leiter der Bürgerinitiative.

Der Initiative ging es darum, die “im internationalen Massstab einzigartige Gletscher- und Karstlandschaft” für kommende Generationen zu bewahren. Forscher aus vielen Ländern reisen regelmässig an, um dort den glazialen Formenschatz und das Vogelleben am Delta des Langvassflusses zu studieren. Letzteres hätte ein Ausbau des Flusses trocken gelegt. Dies hätte auch das Aus für die Wildlachsbestände bedeutet, die sich an das Leben in eiskaltem Wasser angepasst haben und nicht mit einer Erwärmung des Flusses durch den Ausbau zurechtkommen.

Fünf Jahre haben die Saamen gegen das Projekt gekämpft. Das Saltfjell-Hochplateau ist das wichtigste Gebiet für die Rentierwirtschaft im südlichen Nordnorwegen – und eines der letzten, das den Saamen verblieben ist, nachdem sie durch den Bau des neuen Europaweges 6 und durch steigenden Zugsverkehr aus anderen Gebieten vertrieben worden waren. Besonders wichtig sind die Weidemöglichkeiten um den Ramskjell-See geworden. Die Ausbaupläne hätten eine Dämmung des Sees vorgesehen. Die Folgen: ein erhöhter Wasserstand von sieben Metern, Verlust von wichtigem Weideland. Im Winter sollte der See nach und nach um 40 Meter abgesenkt werden. Dabei würden sich nur dünne Eisschichten bilden, die weder Menschen noch Tiere tragen. “Alle werden verstehen, was dies für die Wanderwege der Rentiere über den See bedeutet. Der See wird zu einem grausamen Tiergrab”, so Saamen-Aktivist Per Adde.

Gaute Dahl weist darauf hin, dass die einseitige Ausrichtung auf Wasserkraft ein Hindernis darstelle für eine Neuorientierung der Energiepolitik. Förderung alternativer Energiequellen (Erd- und Seewärme, Sonnen- und Gezeitenkraft) und Massnahmen für einen effektiveren Umgang mit Energie würden hinaus gezögert.

Ethnologe Hannes Wakolbinger bringt noch ein weiteres Argument gegen das Projekt ein, das oft vernachlässigt wird: Die Bedeutung von Natur als Ort der Entspannung und Genuss für immer mehr Menschen. Wakolbinger hat für seine Magisterarbeit in Ethnologie über das Verhältnis der Menschen zur Natur in dem Gebiet geforscht. Obwohl Naturerlebnisse sehr persönlich seien, schreibt er, ähneln sich die Beschreibungen persönlicher Lieblingsgegenden. In ihnen dominieren folgende Elemente: Vegetation und – Wasser.

Ein Zelt auf dem Saltfjell-Hochgeborgsplateu
Saltfjellet. Foto:
Morten Skogly, flickr

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Links aktualisiert am 30.12.2022

2 Comments

Jule May 3, 2019 Reply

Hello!Which hydropower plant do you refer to in your article? I would be pleased about further information.

Lorenz June 15, 2019 Reply

In the second article? The planned power plants in Bjøllådalen, Melfjorden and Beiarn were not built

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