Wo bleiben die positiven Beispiele?

Bis zu 12 Veranstaltungen gleichzeitig beim Norway Social Forum in Oslo

Dreieinhalb Tage lang diskutierten über 1000 Leute mit Vertretern sozialer Bewegungen und Forschern aus der ganzen Welt über Globalisierung. Es ist erstaunlich, was attac und andere Vereine auf ehrenamtlicher Basis zustande gebracht haben.

Die Konferenz, der norwegische Ableger des World Social Forum, verlief sehr unspektakulär. Kaum jemand wusste, welch Koriphäen aus der ganzen Welt im Folkets Hus (“Haus des Volkes”) in Oslo vom 28.11.-1.12.2002 versammelt waren: kein Banner am Eingang, kein Stand in der Stadt, nur winzige Notizen in den Zeitungen.

Es hatte grösstenteils Vorträge und Seminare – Reden, danach Fragen und Diskussion. Was ich vermisst habe: Workshops! Ein paar gab es, doch viel zu wenige. Ich als Teilnehmer wäre gern aktiver, kreativer gewesen, hätte gerne etwas mit anderen entwickelt. So lernt man am meisten und wird am leichtesten mit Leuten bekannt. Gerade Netzwerkbildung sollen Konferenzen fördern.

Vortragshalter wichtiger als Thema

Zwischen vier und zwölf Veranstaltungen haben gleichzeitig stattgefunden. Der Vortragshalter ist wichtiger als das Thema. Ein Seminar über die EU wird nicht so aufregend sein, wenn es von “Nein zur EU” gestaltet wird: Da weiss ich im voraus, was ich zu hören bekomme. Auf der anderen Seite gibt es Stars, die völlig unkritisch von der Bewegung gefeiert werden.

Mir waren die meisten Veranstaltungen zu negativ, um Alternativen zu reden, drückten sich die meisten. Wir hörten, nach Alternativen fragen nur “unsere Gegner”. Was mir auch nicht gefiel: Es waren so wenige Einwanderer dabei – und dies, obwohl die Chefs von sozialen Bewegungen aus der ganzen Welt in Oslo waren. Das betraf auch das landesweite Mitgliedertreffen von attac am Sonntag nachmittag. Völlig unverständlich. Attac ist doch eine globale Bewegung. Viele Einwanderer und Flüchtlinge sind politisch in Solidaritätsarbeit organisiert. Wieso konnte man keine für attac gewinnen? Haben die sich überhaupt darum gekümmert? Ein Einwanderer aus Chile muss dasselbe wie ich gedacht haben und leitete seine Frage bei einem Seminar freundlich grinsend mit den Worten ein: “Ich möchte Euch ein Einwanderergesicht zeigen.”

Vandana Shiva, Johan Galtung, Martin Khor und Dot Keet

Das Spannendste an allem ist einfach dagewesen zu sein, mitzubekommen, wie global die Bewegung ist und einige der Vordenker und Vorkämpfer zu hören. Vandana Shiva (Gründerin der Research Foundation for Science, Technology and Ecology) zu hören ist ein Erlebnis, Biodiversität und Patent auf Leben ist ein Thema, mit dem ich mich jetzt mehr beschäftigen werde. Einmal den Friedensforscher Johan Galtung gehört zu haben, ist ein Muss. Von Antonio Tujan von der IBON-Foundation (Philippinen) lernten wir: “Das meiste, was als Handel bezeichnet wird, ist gar kein Handel, sondern Diktat.” Mit dem Verkauf von Fairtrade-Produkten muss politische Bildung einhergehen. Eine Afrikanerin, Teilnehmerin im Seminar Medien in Afrika, sagte: “Wir brauchen mehr Berichte darüber wie Afrikaner selbst Initiativen starten, um ihr Leben vor Ort zu verbessern”. Ihr wurde entgegengehalten: “NGOs brauchen Katastrofenjournalismus über Elend in Afrika.” Der sei förderlich für ihr Budget.

Ein Höhepunkt war ein Seminar über Alternativen zur konzerngesteuerten Globalisierung. Drei super-Reden von Tony Clarke (Canada), Dot Keet (Süd-Afrika) und Bente Aasjord (stellvertrende attac-Vorsitzende Norwegen). Das partizipative Budget der Stadt Porto Alegre wurde zur Nachahmung empfohlen, ausserdem das Organisieren einer “Counter power”, ökologischer Landbau und – der Punkt kam immer wieder vor: Demokratisierung des Staates. Bente Aasjord meinte, eine Alternative sei, Privatisierung bleiben zu lassen, wenn es um Grundlegendes wie Wasser, Gesundheit und Bildung geht. Eine Ressourcen-Perspektive müsse die Marktperspektive ersetzen. Eine wichtigere Aufforderung: “Redet mit den Leuten. Leute sind nicht dumm, sondern haben viel um die Ohren.” Vor allem sollte man nicht die Aktivistensprache benutzen, das schrecke Leute ab.

Für die Vertreter aus dem Süden war die Unterstützung aus dem Westen immens wichtig: “Nach dreissig Jahren muss ich sagen, die Regierungen im Norden hören nicht auf die Regierungen und NGO’s aus dem Süden. Wenn sie auf jemanden hören, dann auf die Bürger aus dem Norden”, so Martin Khor (der gefeierte Mann aus Malaysia vom Third World Network – die Rednerin nach ihm sagte, nach Khor gebe es nichts zu sagen. Da sie dennoch fortsetzte zu reden, verliess ich den Saal und suchte ein anderes Seminar auf).

GATS Schwerpunkt im Jahr 2003

In Europa muss im kommenden Jahr das wichtigste Projekt der Widerstand gegen GATS sein. Vermittlung von Wissen ist die grösste Herausforderung. Wir kamen zum Schluss, es mit den gegenwärtigen Privatisierungen (die in Norwegen offenbar viel verbreiteter sind als in Deutschland) zu verbinden. Bente Aasjord erzählte von ihrer Gemeinde in Nordnorwegen. Sie müssen gerade wählen zwischen Musikschule ODER Kirche ODER Strassenbeleuchtung. Auch wird vermutlich die Dorfbevölkerung die Fischfangrechte verlieren. Auf dem attac-Mitgliedertreffen wurde die Gründung einer Pressegruppe angepeilt, um den Stoff an Journalisten zu vermitteln.

Zum Schluss: Schröder hat sich mit seinem “Nein zum Irakkrieg” viel Sympathie in Norwegen erworben. Die norwegische Regierung habe nicht soviel Mut, sagt man hier, sie ducke sich vor den USA. Johan Galtung forderte die Norweger auf, ihm ihr Dank auszudrücken: “Auch Schröder braucht Aufmunterung.”


MEHR DAZU:

Für eine gerechte Globalisierung – das Phänomen attac (eigener Text, 3.8.02)

Mit Samba gegen die Weltbank (eigener Text, 29.6.02)

The new grassroots politics needs more democracy – not more political strongmen
(Naomi Klein, The Guardian 1.2.03)

Bericht vom European Social Forum in Florenz
(WOZ, 14.11.02)

World Social Forum 2002: Vollversammlung der Zivilgesellschaft
(ZEIT, 5.2.02)

“Unsere Vision ist mächtiger” – Interview mit Vandana Shiva
(taz, 5.2.02)

Vortrag von Vandana Shiva nach dem Welternaehrungsgipfel

Warum ein Abkommen über biologische Vielfalt?
(transgen.de)

Johan Galtung: “Die andere Globalisierung” – Buchauszug
(utopie1.de)

Letzter Link-Check: 22.6.2021

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